Mittwoch, 20. April 2011

Am Anfang war der Rote Scheich - Eine kleine Geschichte des libyschen Öls

Auf den ersten Blick ist es unerklärlich. Selbst die wenigen Partner, die mit ihm Geschäfte machten, hielten ihn für unberechenbar, sprunghaft und bizarr. US-Präsident Ronald Reagan nannte ihn 1986 "the mad dog of the Middle East"1 - den Irren von Nahost. Und schickte die 6. US-Flotte nach Libyen, ließ Tripolis bombardieren und setzte ein strenges Erdölembargo durch. Jetzt war der Mann offiziell zum Schurken geworden. Zwanzig Jahre später hatte Oberst Muammar al-Gaddafi das Kunststück fertiggebracht, dass sein Land zur führenden Gruppe der erdölexportierenden Länder gehörte und das nicht zuletzt mit Hilfe der großen US-Ölkonzerne. Wie hat er das geschafft?

Sicher ist, dass "der Ölmagnat Gaddafi" auf wirtschaftlichem Gebiet mehr Vernunft gezeigt und vorsichtiger agiert hat als bei seinen diversen innen- oder außenpolitischen Initiativen. Sicher ist auch, dass die Ölkonzerne aus aller Welt gelernt haben, sich in dem besonders instabilen, wenn nicht sogar feindlichen libyschen Umfeld zurechtzufinden - und Geld zu verdienen, viel Geld. Dennoch ist das Ganze ein Paradox.

Um den Widerspruch zu erklären, muss man weit in die Geschichte zurückgehen. 1951 wurde Libyen - das die Italiener 1912 dem Osmanischen Reich abgenommen hatten - ein souveräner Staat, der freilich arm war wie eine Kirchenmaus. Die damalige Monarchie unter Idris I. (1951-1969) war Produkt einer anachronistischen Allianz zwischen dem niedergehenden britischen Imperialismus und einer islamischen Bruderschaft aus der Sahara, der Sanussi (die auch den König stellte). Das einzige Exportgut des Landes war der Schrott, den man auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs zusammenklauben konnte.

Schon die ersten Untersuchungen italienischer Geologen in den 1930er Jahren - die zwanzig Jahre später von Experten der US-Armee fortgesetzt wurden - legten nahe, dass in der Erde unter dem großflächigen Land (1 700 000 Quadratkilometer) fossile Brennstoffe lagern. Das 1955 verabschiedete Erdölgesetz brach mit dem bis dahin im Nahen Osten geltenden Usus, Förderkonzessionen nur an ein einziges Unternehmen zu vergeben: Im Iran war das die Anglo-Iranian Oil Company, in Saudi-Arabien die Aramco, im Irak die Iraq Petroleum Company.(2) In Libyen hingegen wurden die Konzessionen auf fünf Jahre begrenzt und auch nur für bestimmte Felder erteilt. Eine kluge Entscheidung in einer Zeit, in der das Erdöl überall sprudelte und entsprechend billig war.

Zehn Unternehmen beteiligten sich damals an der Exploration. Nach sechs Jahren konnte 1961 der erste Tanker an dem von Exxon eröffneten Ölterminal in Marsa al-Burayqah (Brega) anlegen. Innerhalb von knapp fünf Jahren war die Produktion auf eine Million Barrel pro Tag angestiegen. 1962 waren 19 internationale Konzerne im Land, darunter Exxon, Shell, BP und Eni; 1968 war die Zahl auf 39 gestiegen. In Libyen hatte sich ein neues Modell etabliert, das sich in der restlichen Welt rasch durchsetzen sollte.

Am 1. September 1969 putschte sich Gaddafi an die Macht und begann sofort seine ehrgeizigen Pläne in die Tat umzusetzen. Zunächst wollte er unbedingt höhere Preise für sein Rohöl erzielen. Beraten vom ehemaligen saudischen Erdölminister Abdullah al-Tariki (der auch als "roter Scheich" bekannte Minister hatte 1962 aufgrund von Differenzen mit Kronprinz Faisal sein Amt verloren) spielte er die Ölkonzerne gegeneinander aus, und zwar zuerst den Riesen Esso gegen das kleinere US-Unternehmen Occidental. Als er eine Halbierung der täglichen Fördermenge verfügte, um über höhere Preise die Einnahmen der Staatskasse zu erhöhen, konnte Esso den Ausfall durch seine Produktion in anderen Ländern wettmachen. Occidental dagegen war in einer schwächeren Position, weil 90 Prozent seiner Ölförderung aus Libyen stammten und die "Seven Sisters", das Kartell der sieben größten Ölkonzerne der Welt,(3) nicht bereit waren, ihm auch nur ein einziges Barrel abzutreten. "Sie haben alles auf eine Karte gesetzt", feixten die libyschen Verhandlungspartner, und Occidental-Chef Armand Hammer musste erheblich höhere Ölpreise und höhere Abgaben hinnehmen.(4) Doch weil das libysche Öl wegen der Schließung des Suezkanals (seit 1967) noch immer das günstigste war, kapitulierten im September 1970 auch die Seven Sisters.(5) Preise und Abgaben stiegen auf einen Schlag um 20 Prozent.

Für die übrigen erdölexportierenden Länder war damit der Beweis erbracht: Es ist vorteilhafter, mit mehreren ausländischen Konzernen zusammenzuarbeiten als mit einem einzigen, und als Gegengewicht zu den Seven Sisters auch kleinere Unternehmen ins Spiel zu bringen, die keine alternativen Bezugsquellen haben. Für die Unabhängigen und die europäischen Staatsunternehmen war dies der Durchbruch auf dem internationalen Erdölmarkt.

Pionierarbeit im Umgang mit den Ölkonzernen
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