Angesichts der Verwerfungen in der Eurozone kommt der antidemokratische Charakter der EU-Politik voll zum Durchbruch. In Italien und Griechenland werden ungewählte „Technokratenregierungen“ implementiert. Im Gespräch sind Vorschläge, EU-„Sparkommissare“ in Schuldenstaaten zu entsenden. Parallel dazu entsteht ein „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ (ESM), der über riesige Geldsummen verfügt, für die Nationalstaaten zwar bürgen, deren Verwendung nationale Parlamente jedoch nicht hinreichend kontrollieren können. Obendrein werden die Konturen einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ sichtbar, die tief in nationale Politikfelder hineinregieren wird.
Die bisherigen Antworten auf diese „postdemokratischen“ Entwicklungen erweisen sich als untauglich, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Sie sind alle aus der Not geboren, und sie vergrößern die Kluft zwischen Regierten und Machthabern. So will zwar die SPD mittels einer weiteren Aufwertung des Europäischen Parlamentes dem viel beklagten „Demokratiedefizit“ abhelfen, und das Bundesverfassungsgericht interveniert immer wieder zugunsten der Befugnisse der nationalen Parlamente. Doch Demokratie als „Herrschaft des Volkes“ setzt ein europäisches Gemeinwesen voraus. Ein solches ist jedoch im Zuge des europäischen Einigungsprozesses systematisch ausgehöhlt worden.
Wenn ein Demokratietheoretiker wie Jürgen Habermas die Eurokrise als Anlass zur Schaffung einer „kosmopolitischen“ Demokratie betrachtet, so unterschlägt er, dass sich eine lebendige europäische Öffentlichkeit nicht nachträglich – und gar unter Notstandsszenarien – konstruieren lässt. Wenn Politiker wie Wolfgang Schäuble oder Joschka Fischer meinen, mittels Zweikammersystemen oder Direktwahl des EU-Präsidenten die Repräsentativität politischer Kräfteverhältnisse auf europäischer Ebene zu verbessern, so vergessen sie den eigentlichen Adressaten europäischer Politik. Denn eine lebendige politische Öffentlichkeit bildet sich erst im autonomen Diskurs der Bürgerschaft über alle wichtigen Fragen einer politischen Gemeinschaft heraus.
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