Irgendetwas ist grundfalsch an der Art und Weise, wie wir heutzutage leben. Wir wissen, was die Dinge kosten, aber nicht, was sie wert sind. Bei einem Gerichtsurteil oder einem Gesetz fragen wir nicht, ob es gut ist. Ob es gerecht und vernünftig ist. Ob es zu einer besseren Welt beitragen wird. Früher waren das die entscheidenden politischen Fragen, auch wenn es keine einfachen Antworten gab. Wir müssen wieder lernen, diese Fragen zu stellen.
Überall in unserer Umgebung sehen wir beispiellosen privaten Reichtum. In den vergangenen 30 Jahren hat der Luxuskonsum – Häuser, Schmuck, Autos, Kleidung, Hightechgeräte – deutlich zugenommen. In Amerika, Großbritannien und einigen anderen Ländern haben Finanzgeschäfte die Industrie oder den Dienstleistungsektor als Quelle von Privatvermögen verdrängt und zu einer verzerrten Wertschätzung ökonomischer Aktivitäten geführt. Reiche hat es schon immer gegeben, aber heute sind sie reicher und konsumfreudiger als zu irgendeiner anderen Zeit. Private Privilegien sind leicht zu verstehen und zu beschreiben. Schwerer ist es, die öffentliche Verwahrlosung zu beschreiben, in der wir versunken sind.
Armut ist eine Abstraktion – selbst für Arme. Doch die Symptome kollektiver Verarmung sind allenthalben zu sehen. Schadhafte Strassen, zahlungsunfähige Komunen, einstürzende Brücken, vernachlässigte Schulen, Arbeitslose, Wohnungslose, Unversicherte – das alles ist Ausdruck gesellschaftlichen Versagens. Diese Missstände sind so verbreitet, dass sie kaum noch thematisiert oder gar behoben werden. Aber etwas ist hier grundsätzlich nicht in Ordnung. Während Washington Milliarden Dollar für einen sinnlosen Krieg in Afghanistan bereitstellt, streiten wir darüber, ob mehr Steuergelder für eine bessere Sozialversicherung oder den Erhalt der Infrastruktur ausgegeben werden sollten.
Um zu verstehen, in welchem Abgrund wir versunken sind, müssen wir das Ausmaß der Veränderungen in unseren Gesellschaften erfassen. Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Ungleichheit in den westlichen Industriegesellschaften Schritt für Schritt abgebaut. Dank Steuerprogression, Sozialhilfe und staatlicher Absicherung verringerte sich die Kluft zwischen Reichtum und Armut.
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