Sonntag, 20. Juni 2010

Eine komplette Veränderung des europäischen Systems – ohne das Volk zu fragen

Zeit-Fragen: Herr Professor Hankel, Sie und vier ausgewiesene Fachkollegen haben Anfang Mai nicht nur eine Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die vom Bundestag beschlossene sogenannte Griechenland-Hilfe eingereicht. Sie haben sich auch mit einer Anzeige in einer grossen deutschen Tageszeitung an die Öffentlichkeit gewandt. Was hat Sie bewogen, diesen Schritt zu tun?

Professor Dr. Wilhelm Hankel: Was wir dem Verfassungsgericht zu bedenken geben, geht uns alle an, geht alle Deutschen an, ja alle Europäer. Denn mit den jetzt beschlossenen Hilfen für Griechenland, aber auch für viele andere in ähnlicher Lage befindliche Länder, wird unter dem Vorwand der Humanität, der Solidarität etwas Ungeheuerliches eingeleitet, nämlich eine komplette Veränderung des europäischen Systems – ohne das Volk zu fragen. Und diese Veränderung läuft auf verschiedenen Ebenen. Auf der rechtlichen: Es werden Rechtsbrüche begangen, die einfach ungeheuerlich sind. Aber es wird auch die politische Struktur der EU verändert, was ebenfalls ungeheuerlich ist; denn hier muss ja durch Volksentscheidungen entschieden werden und nicht durch Nacht-und-Nebel-Aktionen von irgendwelchen Regierungen. Und was mich als Ökonom besonders stark umtreibt, ist die Sorge um den Wohlstand unserer Bürger. Diese 3 Motive, diese 3 Ebenen, müssen der Allgemeinheit vorgetragen werden, und natürlich wollten wir indirekt auch den Richtern klarmachen, dass solche Dinge nicht in der juristischen Einsamkeit entschieden werden, die müssen im hellen Licht der Öffentlichkeit diskutiert und womöglich auch abgewehrt werden.


In Ihrer Anzeige sprechen Sie von einer politischen Situation in Deutschland, die vergleichbar sei mit den Jahren vor der Französischen Revolution. Sehen Sie die politische Situation so brisant?

Ich sehe vor allen Dingen, dass sich unsere Regierungen völlig von den Sorgen und Erfahrungen und Nöten ihrer Völker entfernen. Nehmen wir den Fall Inflation. Die Deutschen haben im vorigen Jahrhundert 2 Inflationen erlebt, die Menschen haben darunter gelitten, ihre Ersparnisse waren weg, ihre Zukunft war nicht mehr gesichert, ihre Renten wurden konfisziert. Vor allen Dingen aber hat sich die Gesellschaft verändert. Plötzlich wurde aus der jungen deutschen Demokratie der Weimarer Republik eine Verzweiflungsdiktatur. Denn so muss man es wohl sehen. Ein Teil der Menschen hat die linke Diktatur gewählt, die kommunistische, ein anderer, der bürgerliche Teil, hat die rechte Diktatur gewählt, aber ich bin überzeugt: Viele dieser Wähler hätten niemals weder die eine noch die andere Diktatur gewählt, wenn sie in gesicherten ökonomischen Verhältnissen hätten leben können.

Können Sie uns sagen, was Ihre hauptsächlichen rechtlichen Argumente innerhalb Ihrer Klageschrift sind?
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